Nach der Haft

Dafür, dass sich der Tourismus nicht so schnell wiederbelebt, wie wir alle gehofft haben, gibt es diverse, durchaus überraschende Gründe.
© MG MedienGruppe

Bei unserem Aufenthalt bei der Holleis-Gruppe im wunderbaren Hotel Miramar in Opatija zwischen 24. und 30. Mai saßen wir – beseelt vom Glück, der vermaledeiten Einkastelung entkommen zu sein – im eleganten Speisesaal. Der freilich nur halb gefüllt war. Wiewohl der österreichische Lockdown schon weitgehend aufgehoben war, hielt sich die Zahl der anwesenden Gäste in Grenzen. Ich fragte die umtriebigen Direktoren Martina Riedl und Andreas Madejski, warum man nur so spärlich besetzt sei, denn nur rund 80 Gäste hatten sich in den traumhaften Betrieb „verirrt“. Die beiden gaben eine ganze Reihe von Erklärungen ab: Zum einen musste man unangenehme Einreise-Beschränkungen ertragen. Zum anderen eine Quarantäre in Österreich nach der Rückkunft hinnehmen. Dies hätte dazu geführt, dass die Menschen die neu gewonnene Freiheit noch nicht nutzten.
Und wie es halt so ist in einem Ferienhotel, wo man fröhlich ist, wo die Sonne scheint, wo sich dieser lange, entsetzliche Winter endlich verabschiedet hat, kamen Ekaterina und ich mit diversen anderen Gästen ins Gespräch. Nein, die Quarantäne störe sie nicht. Nein, die Einreise hätte sie zwar eineinhalb Stunden am Grenzbalken aufgehalten, aber das könne man schon, wenn man in solch einem Betrieb urlauben darf, aushalten.
Ein Gespräch mit einem Pandemie-Experten, der auch als Soziologe bestens bewandert ist, brachte dann die Erleuchtung. Eine Erklärung, die ich als durchaus plausibel, um nicht zu sagen zwingend, ansehe.
Stellen Sie sich vor, jemand hat eine lange, unangenehme Zeit in Einzelhaft verbracht. Eingesperrt. Ohne soziale Kontakte. Eine grässliche, die Psyche demolierende Zeit. Und dann kommt endlich der Tag der Freiheit. Er darf seine Zelle verlassen. Was aber macht er? Er fährt direkt in sein Haus/seine Wohnung. Und dann passiert etwas Interessantes: Für eine ziemlich lange Zeit verlässt er sein Haus nicht. Er bleibt freiwillig „eingesperrt“ in den eigenen vier Wänden. Weil er sich daran gewöhnt hat. Weil er Angst davor hat, unter Menschen zu gehen. Weil er unsicher ist. Weil er das soziale Kommunizieren fast schon verlernt hat.
Genau dieses Phänomen hat uns die Pfingstferien gekostet. In der Hotellerie. Und in der Gastronomie sowieso, denn wie stellen sich die politisch Verantwortlichen das vor, dass ein Betrieb funktionieren soll, wenn er nur einen Bruchteil seines Angebots an Plätzen nutzen kann. Denn kein Betrieb in diesem Land, so wage ich zu behaupten, kann guten Profit einfahren, wenn er nur jene Plätze, die im Freien situiert sind, nutzen kann.
Ich habe – das gebe ich unumwunden zu – das Verhalten der politisch Verantwortlichen, vor allem in den letzten Monaten, überhaupt nicht verstanden. Wir haben das gesamte gesellschaftliche Leben in den privaten Bereich verschoben. Dadurch, dass die Gastronomie komplett geschlossen war, hat sich alles – die Treffen, die Essen, die Kommunikation, das Miteinander – in den höchstpersön-lichen Bereich verabschiedet. Da die Regierung und die Verantwortlichen mehrmals signalisiert haben (sonst hätte die wahrlich der Teufel geholt), dass man die Privatsphäre der Menschen akzeptiere und nicht auch noch in deren persönlichen Bereich zu Corona-Kontrollen eindringen wolle, hat sich’s im Home-Bereich, wie man so schön sagt, „abgespielt“. Denn dort halten sich naturgemäß nur die allerwenigsten an die Abstandregeln. Privat eine Maske? Von wegen…
Sohin sind auch die Infektionen dort extrem aufgetreten, wo nicht kontrolliert, nicht sorgfältig nach den Regeln der Pandemiebekämpfungskunst vorgegangen wurde. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass eine geregelte Öffnung der Gastronomie der weit bessere, mit viel weniger Fällen verbundene Vorgang gewesen wäre. Wenn man die Gastronomie offen gelassen hätte, mit Maß, Ziel, Abstandsregeln, Tests, Kontrollen, Registrierungen – dann hätten wir einen weit weniger schlimmen Verlauf der Pandemie gehabt.
Dazu kommt noch der Wahnsinn, dass Wirtschaftsexperten sich ausgerechnet haben, nachdem Deutschland rund 8 Milliarden Euro für jeden Lockdown-Tag verloren hat, dass wir Österreicher – aufgrund der Strukturierung unseres Tourismus und unserer ganz besonderen wirtschaftlichen, auf Gäste ausgerichteten Struktur – wohl am Tag rund eine Milliarde Euro verloren haben. Die Milchmädchenrechnung, die daraus resultiert, ist durchaus einfach. Wir haben in 191 Lockdown-Tagen sohin 191 Milliarden oder, um es verständlich zu machen, einhunderteinundneunzigtausend Millionen Euro verloren. Verbrannt. Die sind weg. Aber die unfähig agierende EU hat das Impfen verpfuscht. Und wir Österreicher haben beim Impfen sagenhafte 40 Millionen erspart. 40 Millionen, bei 191 Milliarden Abgang. Was für eine Rechnung. Jeder Kaufmann, der so seinen Betrieb führt, darf sofort Insolvenz anmelden.
Jetzt also gilt es, die Suppe auszulöffeln. Wieder zurückzufinden auf die Straße der Normalität. Das wird Jahre dauern. Und – bilden wir uns nicht ein, dass irgendjemand anderer die Rechnung des Finanzministers, die nach dem Motto „um jeden Preis“ bezahlt wurde, berappen wird. Das werden wir sein. Die Unternehmer, die Entrepreneure – vor allem der Mittelstand, der gut aufgestellt ist – werden die gewaltigen Summen, die die Pandemie verschlungen hat, ausgleichen müssen. Da kommt noch viel auf uns zu. Wir werden uns alle warm anziehen müssen.
Sohin bleibt nur eine einzige Hoffnung: Dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen (ich glaube, dass in der Impfung die einzige Chance liegt, jemals aus diesem Schlamassel herauszukommen) und dass uns im Herbst ein weiterer Lockdown erspart bleibt.
Darauf hofft Ihr
Christian W. Mucha
Herausgeber
 
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