Alpen-Dämmerung

Das Corona-Drama in Tirol - Chronologie und Konsequenzen.
Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay

Durch Ignorieren und Verschleppen wurde Ischgl zu Österreichs Corona-Hotspot

Martin K. (Name von der Redaktion geändert) ist der Vorstand einer Kärntner Baufirma. Eines renommierten Unternehmens. Gemeinsam mit zwei Freunden (die Frauen/Freundinnen ließ man zu Haus) machte man sich an ein Drei-Tage-Wochenende in Ischgl. Skifahren pur unter Freunden. Heute schimpft K. wie ein Rohrspatz am FM Telefon: „Die haben das ganz genau gewusst, diese Arschl…“, flucht er. „Denn unser Tirol-Aufenthalt ist übel ausgegangen.“ Eine Seilbahnfahrt mit der Silvrettabahn wird den drei Freunden ewig in Erinnerung bleiben. Da nieste ein deutscher Urlauber ungefähr 20 Mal. K.: „Wir wissen es ganz genau – der hat uns angesteckt. Keiner kam aus dieser Gondel ohne Coronavirus heraus.“ Gefühlte drei Tage später hatte der Bauunternehmer das Virus, bei einem Freund brach’s nach vier Tagen aus, beim zweiten nach fünf. Mit unterschiedlichen Symptomen. Einer ganz schwach, einer mittelschwer mit Husten und Lungenschmerzen, und den Bauunternehmer erwischte es am schlimmsten. Mit Glasscherben in der Lunge (eine Beschreibung der Viruserkrankung) und 39 Grad Fieber an drei Tagen.
K. am FM-Telefon: „Mich hat wahrscheinlich gerettet, dass ich das Fieber zugelassen habe. Und erst bei 39 Grad mir – alleine zu Hause, schwitzend und leidend – ein Mexalen-Zäpfchen in den Hintern geschoben habe. Das war zwar eine Gewaltkur, aber jetzt ist sie überstanden.“ Seit Sonntag, dem 29.3., durfte K. wieder zu seiner Freundin. Er bleibt noch weiter in Isolation – weil er seine bessere Hälfte nicht gefährden will. Wenn man K. auf das, was da in Tirol vorgefallen ist, anspricht, dann werden seine Lippen ganz schmal. Das sieht man förmlich am Telefon. „Die haben das ganz genau gewusst. Die haben einfach den Mund nicht vollgekriegt vor lauter Gier. Die haben wegen der paar Netsch die Leben von Tausenden und Abertausenden riskiert. Und – da konnte keiner entkommen. Weder beim Après-Ski, noch an den Gondeln, noch an den Liften, noch dort, wo sich die Leute bei den Anstell-Treffen gedrängt haben.“ FM hat die Chronik der Vorfälle aufgearbeitet: So ließen die Geldsäcke in Tirol die Kassa bis zuletzt klingeln.

Katzenjammer statt Hüttengaudi

Die Hüttengaudi hat einem Katzenjammer Platz gemacht, gegen den es auch keine Pillen gibt. Ischgl, in der öffentlichen Wahrnehmung als Winter-Partymeile mit Bergen, Brettln und Brettljause geschätzt, liegt am Boden. Medien zahlloser Länder berichten nicht über ein stolzes Bergdorf mit traumhafter Naturkulisse. Sondern über eine Tourismus-Maschinerie ohne Appetitzügler im Mittelpunkt der Corona-Krise. Kaum jemand denkt an blauen Himmel und glückliche Skifahrer mit roten Wangen. Vielmehr dominieren schwere Vorwürfe, stinksaure Touristen und unsichere Perspektiven diese einstige Postkarten-Idylle. Dabei lief auch heuer alles so geschmiert wie immer. Im Paznaun zeigt sich zu Saisonbeginn das bekannte Bild.
In diesem Tal ist die touristische Welt sichtlich weitgehend in Ordnung. Der einzige Klimawandel, der das Vergnügen trüben könnte, ist jener vom strahlenden Sonnenschein zum heftigen Schneesturm. Am beliebten Touristen-Tummelplatz mit gerade einmal rund 1600 Einwohnern und immerhin 11.800 Gästebetten, wo schon Stars wie Tina Turner, Bon Jovi oder Elton John 20.000 jubelnde Fans begeisterten, regiert gewohnte globale Ausgelassenheit. Erholungssuchende aus aller Welt finden bestens präparierte Pisten, um zu später Stunde beim Après-Ski weiter Vollgas zu geben. Für umsatzstarken FreizeitKick ist natürlich gesorgt. Egal ob exklusive Party, Mountain-Konzert, Haubenrestaurant oder Disco: Ischgl fungiert als einträglicher Magnet für LifestyleUrlauber.
Was nicht von ungefähr kommt. Die zuständigen Marketing-Profis liefern seit jeher perfekte Inszenierungen, während Hoteliers und Gastronomen wissen, was ihr skifahrendes Volk wünscht. Das Resultat war ein steiler Aufstieg von der armen Gemeinde in den 1960erJahren zum schillernden Alpen-Mallorca. Eine Million Nächtigungen und 250 Millionen Umsatz im Jahr sprechen schließlich eine klare Sprache. Wobei keineswegs externe Investoren für den Höhenflug sorgten, sondern heimische Tourismusprofis mit gutem Geschäftsinstinkt. Auch diesmal stehen daher die Gäste-Ströme Tag für Tag unter Strom. Die Show läuft auf Hochtouren, viele Kassen klingeln in gewohnter Weise. Weit und breit scheint keine Spaßbremse in Sicht zu sein. Selbst jenes unheimliche Virus in China bleibt nichts anderes als ein unwirkliches Bild aus der Berichterstattung.

5. März: Reisewarnung aus Island

Hinter diesen fröhlichen Kulissen ist das Unheil bereits gelandet. In der isländischen Hauptstadt Reykjavik werden Passagiere eines Flugs der Icelandair aus München auf Covid 19 getestet. Viele von ihnen haben schöne Urlaubstage in Tirol verbracht. Die gute Laune weicht der Besorgnis. Die Verantwortlichen melden 16 Fälle über das EU-weite Frühwarnsystem für Infektionskrankheiten. Acht davon werden ausdrücklich mit Ischgl in Verbindung gebracht. Eine entsprechende Nachricht geht auch an die österreichischen Behörden. Am 5. März spitzt sich die Lage zu: Island erlässt eine Reisewarnung für jene Destination, die jetzt als „High-Risk Area“ eingestuft wird. Der Tourismusverband Paznaun-Ischgl erhält ebenso eine Nachricht. Dort ortet trotzdem kein Beteiligter akuten Handlungsbedarf. Im Gegenteil.
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